6. Tag auf See
Ein typischer Tagesablauf an Bord eines Segelschiffs
Ein typischer Tagesablauf an Bord eines Segelschiffs folgt einem klaren Rhythmus, bei dem Sicherheit und Navigation stets im Vordergrund stehen. Auch hier draussen auf hoher See, wo wir selten ein anderes Schiff erblicken, muss rund um die Uhr jemand „on duty“ sein. Das bedeutet, dass immer eine Person die Umgebung, die Segel und die elektronische Ausrüstung überwacht. Unsere Crew arbeitet in einem festen 4-Stunden-Rhythmus. Da wir zu fünft sind, haben immer zwei Personen 4 Stunden Wachdienst, gefolgt von 8 Stunden Ruhezeit. Tagsüber sind die Wachen meist weniger streng, da viele wach sind, aber in der Nacht ist man in der Regel allein auf Wache. Mein Nachtdienst beginnt um Mitternacht und dauert bis 4 Uhr morgens, tagsüber habe ich dann von 12 bis 16 Uhr Wache. Das Schlafen muss flexibel rund um die Wachzeiten organisiert werden.
Nachtwache: Dunkelheit und Technik im Einsatz
Gerade jetzt, mitten in der Nacht um 01:17 Uhr, liegt das Schiff in völliger Dunkelheit. Die Sterne leuchten hell, aber ohne den Mond ist es fast pechschwarz. Diese Dunkelheit verlangt höchste Aufmerksamkeit. Der Kartenplotter ist ein unverzichtbares Hilfsmittel. Ähnlich wie ein GPS zeigt er unsere Position, die Umgebung und mögliche Hindernisse, die vom Radar erfasst werden. Im Moment bleibt der Bildschirm leer – kein Radarzeichen, keine anderen Schiffe.
Der Kartenplotter überwacht zudem Schiffe mit AIS (Automatic Identification System). Dieses System sendet unsere Position an andere Schiffe und gibt Warnungen bei möglichen Kollisionen aus. Während wir hier auf dem offenen Meer sind, ist es unwahrscheinlich, auf Schiffe ohne AIS zu treffen. In Küstennähe jedoch sind besonders Fischerboote oft nicht mit AIS ausgestattet, weshalb in solchen Situationen visuelle Wachsamkeit gefragt ist.
SEA.AI: Modernste Technologie für mehr Sicherheit
Eine grosse Unterstützung bietet unser SEA.AI-System, das auf der Mastspitze montiert ist. Es kombiniert zwei Infrarotkameras und eine herkömmliche Kamera, um die Umgebung zu überwachen. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz erkennt das System Objekte und analysiert deren Bewegungsrichtung. Droht eine Kollision, wird ein Alarm ausgelöst. Dieses moderne System ist eine wertvolle Ergänzung, die uns gerade bei Nacht zusätzliche Sicherheit bietet.
Die Stille der Nacht
In diesem Moment zeigt weder der Kartenplotter noch das SEA.AI-System Aktivitäten. Es ist vollkommen still, abgesehen vom gleichmässigen Rauschen des Meeres, während das Schiff durch die Dunkelheit gleitet. Der weite Ozean und die grenzenlose Nacht schaffen eine Atmosphäre der Ruhe, die jedoch von einem tiefen Bewusstsein für die Verantwortung begleitet wird, die Crew sicher in den neuen Tag zu bringen.
Christoph Zeller