9. Tag auf See
Der heutige Tag begann mit meiner Schicht um Mitternacht und stellte uns von Anfang an vor grosse Herausforderungen. Der Wind blies mit 22 Knoten, begleitet von 2,5 Meter hohen Wellen, die seitlich auf unser Boot trafen und das Schiff stark durchrüttelten. Die Geräuschkulisse war entsprechend laut, und wir segelten mit dem Gennaker bei beeindruckenden 7 bis 8 Knoten. Kurzzeitig erreichten wir sogar eine Geschwindigkeit von 11,2 Knoten – ein aussergewöhnlicher Wert für unser Schiff.
Doch die Nacht hielt auch tragische Ereignisse bereit. Um 2:37 Uhr erhielten wir die erste Schreckensmeldung: Die Ocean Breeze, eine Hochseerennjacht, meldete ein Mayday aufgrund eines Mann-über-Bord-Unfalls (MOB). Ein Crewmitglied war bei voller Fahrt in der stockdunklen Nacht über Bord gegangen. Die Suchaktion wurde sofort vom MRCC Norfolk koordiniert. Schiffe in der Nähe änderten ihren Kurs, und auch eine Motoryacht beteiligte sich. Leider erreichten die ersten ARC-Boote das Gebiet erst gegen Mittag. Trotz intensiver Bemühungen und grossem Einsatz musste die Suche bei Einbruch der Dunkelheit erfolglos abgebrochen werden. Dieses tragische Ereignis hat die gesamte ARC-Gemeinschaft tief erschüttert.
Eine Stunde später, um 3:43 Uhr, ging ein weiteres Mayday ein – diesmal von der Karolina Viking, einem schwedischen Katamaran. Ein gebrochenes Ruder am Backbordrumpf und eindringendes Wasser hatten den Motorraum geflutet, was zu einem Ausfall der Elektrik und der Lenzpumpen führte. Die Crew setzte Kurs auf die Kapverden, doch die Schäden verschlimmerten sich weiter. Schliesslich wurde die Besatzung von der Cinderella di San Remo gerettet, die sie sicher aufnimmt. Der Katamaran konnte nicht gehalten werden und ging verloren. Glücklicherweise blieb die Crew unverletzt, doch der Verlust des Schiffes ist eine schwere Tragödie.
Diese Ereignisse haben die gesamte Flotte tief bewegt und mahnen uns alle zur Vorsicht. Sie zeigen, wie unberechenbar und fordernd das Meer sein kann, selbst für erfahrene Crews und gut ausgestattete Schiffe.
Am Morgen kontrollierten wir unser eigenes Schiff sorgfältig, was ohnehin Teil unserer Routine ist. Dabei entdeckten wir einige stark beanspruchte Stellen an Fallen und Schoten, die wir entweder ausgetauscht oder umgelagert haben. Die Materialbelastung auf hoher See ist enorm, und Improvisation sowie ein ausreichender Vorrat an Ersatzteilen sind unerlässlich.
Die heutigen Vorfälle haben uns eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig Vorsicht, Vorbereitung und gegenseitige Unterstützung sind. Sie unterstreichen auch den Wert, in einem Verband wie der ARC unterwegs zu sein, wo Hilfe und Solidarität im Mittelpunkt stehen.
Christoph Zeller